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Die Illusion der natürlichen Vielfalt. Ein Gespräch zwischen Bäumen.

Beitrag im NUN-Magazin für Konstanz und Kreuzlingen, Ausgabe 4

[Auszug]



„Diese hier haben in vier Wochen kein Licht mehr. Deswegen investieren sie sehr viel Energie, um möglichst früh – noch in der Kälte – ihre Blätter auszutreiben. Damit sie noch Licht bekommen, bevor oben zu ist“, erzählt Uli Burchardt und zeigt abseits von einem Waldweg auf ein paar niedrige Sträucher und Pflanzen, die im Schatten eines beeindruckenden Baumstammes wachsen. „Die wissen das.

Ich weiß nur nicht, warum. Aber gerade hier im Lorettowald kann man es richtig schön sehen.“ Mein Blick folgt seinem Arm, der zuerst auf den Boden und anschließend weit über unsere Köpfe nach oben zeigt. Es ist einer der ersten warmen Frühlingstage in diesem Jahr. Die Sonne scheint durch das Blätterdach der Bäume und taucht alles um uns in gelblich grünes Licht. Wir setzen uns irgendwo mitten im Lorettowald auf eine Bank. Den Ort für unser Gespräch hat Burchardt gewählt, das Thema ich. Natur. Genauer: der Wald.


Als gelernter Landwirt und studierter Forstwirt ist Uli Burchardt

ein spannender Gesprächspartner. Er ist aktuell Oberbürgermeister in Konstanz. Als Förster, der hier aufgewachsen ist, weiß er, welche wichtige Rolle Wälder für die Städte spielen – ganz besonders dieser: „Der Lorettowald ist ein Stadtheiligtum. Er ist Teil des genetischen Codes der Stadt Konstanz. Über den Lorettowald gibt es tausend interessante Dinge zu erzählen, er ist der einzige rehwildfreie Wald in Baden-Württemberg, weil er umschlossen ist von Stadt und See. Dadurch hat der Lorettowald besonders gute Bedingungen, sich artenreich zu entwickeln, weil er keine Verbissschäden hat“, erzählt Burchardt und fügt hinzu: „Am Lorettowald ist außerdem interessant, dass er ein völliges Kunstprodukt ist.“


„Kunstprodukt“ – an dem Wort bleibe ich hängen. Verkörpert der Wald doch für mich die Natur in ihrer reinsten Form. Aber Burchardt erklärt: „Hätte man der Natur in diesem Wald ihren Lauf gelassen, dann würden hier nur Buchen stehen.“ Dabei zeigt er wieder auf einen

großen Baum in der Nähe, den ich daraufhin genauer betrachte. Die Rinde des Baumes ist bleigrau und ganz glatt. Von der Parkbank aus kann ich von unten gerade noch erkennen, dass die Blätter in der Baumkrone tropfenförmig und etwa Handteller groß sind. Burchardt erklärt mir weiter, dass die Buche in unserer Region der konkurrenzstärkste Baum ist. Würde der Mensch nicht eingreifen, wäre ganz Süddeutschland im Wesentlichen von Buchen bedeckt. Eine ihrer Besonderheiten ist, dass sie eine plastische Krone haben, die dafür sorgt, dass in ihrem Schatten nur wenige andere Pflanzen wachsen können – unter anderem allerdings andere Buchen, denn diese kommen auch mit Schatten gut zurecht und zeigen selbst bei wenig Licht noch eine hohe Wuchsleistung. Das bedeutet zum Beispiel, wenn neben einer

Buche ein Baum umfällt, kann sie selbst im hohen Alter noch einen Ast in die frei gewordene Lücke schieben und so das ganze Licht für sich beanspruchen. [...]


Ich finde den Gedanken spannend,dass in unserer Region Wildwuchs

also Natur ohne menschliches Eingreifen – auf eine Buchen-Monokultur

hinauslaufen würde und frage mich, was dann der eigentliche „Plan“ der Natur ist. Vielfalt scheint es nicht zu sein. Was so betrachtet sehr interessant ist, da wir doch immer das Gefühl, mehr noch das Bedürfnis haben, dass Natur vielfältig sein müsse, um möglichst natürlich zu sein. „Wir Menschen sind ja ein bisschen wie Schrebergärtner. Am liebsten hätten wir einen Wald, einen Obstgarten und einen Weinberg. So ist Natur aber nicht“,erwidert Burchardt darauf. „Also was ist die Maxime der Natur? Ein Wettbewerb auf Leben und Tod, in dem Effizienz gewinnt. Immer.“ – Wie die Buche mit ihrer

Ausdunkelungs-Taktik oder die Ratten, Mäuse oder Kaninchen, die sich in kurzer Zeit schnell vermehren können. Andere Lebewesen sind dagegen langfristiger orientiert, wie Säugetiere, die nur ein oder

zwei Junge bekommen. „Diese Strategien sind ganz, ganz unterschiedlich, aber letztlich gewinnt immer der, der schneller

oder stärker ist. Größer oder klüger. Am Ende eben der, der mit den gegebenen Ressourcen am besten klar kommt“, resümiert Burchardt. [...]

 

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