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#ausdemOFF | Ragnar Kjartansson's "The Visitors"

Aktualisiert: 16. Feb. 2021

Guggenheim Museum Bilbao | 30. Mai – 2. November 2014

Nine channel HD video projection | Duration: 64 minutes

Black and white photography of the window before entering Ragnar Kjartansson's The Visitors
Guggenheim Museum Bilbao 2014

Für gewöhnlich gehe ich Videoinstallationen in Museen aus dem Weg. Ringe ich mich doch einmal dazu durch, mich vor die Projektion zu setzen, schaffe ich es in den wenigsten Fällen, bis zum Ende durchzuhalten. Irgendwie scheint mir wohl dafür der Sinn für diese Kunstform zu fehlen.


Im Gedächtnis hängen geblieben sind mir Werke wie The well-shaven cactus (1970) von Ger van Elk oder Richard Serras Hand Catching Lead (1968). Alle haben meistens eines gemeinsam: Sie sind kurz.


Ein 64 minütiges Werk kostet mich demnach viel Überwindung und stößt auf meinen Widerwillen. Dass ich in Ragnar Kjartanssons The Visitors (2012) beinahe zwei Stunden verbrachte, spricht darum für sich. Und dass ich von der ersten bis zur letzten Minute gefesselt war, umso mehr.


The Visitors besteht aus neun Projektionen und jeder davon zeigt einen Raum in einer alten, etwas heruntergekommenen, romantisch-verwohnten Villa. In jedem dieser nahezu lebensgroß projizierten Räume sitzen zu Beginn ein bis maximal zwei Musiker. Man bewegt sich durch den dunklen Projektionsraum, versucht dabei den Grundriss der Villa zu verstehen und sucht die Zusammenhänge zwischen den Protagonisten.


Die Musiker setzen nacheinander ein und hören gemeinsam auf, spielen auf verschiedenen Instrumenten immer dasselbe Lied, das gleich der Handlung erst im Ausstellungsraum selbst ein Ganzes ergibt. Der musikalischen Komposition liegt das Gedicht Feminine Ways von Kjartannsons früherer Frau zu Grunde. In diesem mag es um Beziehungen gehen, vielleicht um einen Neuanfang, auf jeden Fall aber um viel Gefühl.

Der Besucher wandert an den Projektionen vorbei, durch die Räume des alten Gebäudes. Sucht nach der Geschichte, die erzählt wird. Sucht nach dem, was hinter dem sich immer wiederholenden Lied, diesem unendlich schönen Mantra verbirgt. Irgendwann setzt man sich auf dem Boden, möglichst im Zentrum, verliert sich sich in dem rhythmischen Singsang, beginnt das Lied zu summen und irgendwann leise mitzusingen. Dort sitzt man mit anderen Besuchern, hört zu, kommt zur Ruhe, lässt sich von der tiefen Melancholie einfangen.


Man kann endlos viel Zeit vor den Projektionen verbringen. Jede zeigt eine kleine Handlung für sich, aber viel passiert eigentlich nicht. In einem der Räume entdeckt man Kjartansson selbst, der in einer vollen Badewanne lieg und mit Kopfhörern auf Gitarre spielt. In einem anderen sieht man Kristín Anna and Gyða Valtýsdóttir, Zwillingsschwestern und Gründungsmitglieder der isländischen Band mùm, oder auch Kjartan Sveinsson, der bis 2012 am Keyboard einer anderen bekannten isländischen Band stand: Sigur Rós.


Jedem der Besucher fällt es sichtlich schwer aufzustehen, sich von dem Stück zu trennen und wieder hinaus in die Welt zugehen. Spätestens dann wird einem bewusst, wer tatsächlich nur zu Besuch war.

 

Dieser Text habe ich 2014 geschrieben, direkt nach dem Besuch des Guggenheim Museums in Bilbao. Bis heute bewegten mich wenige Werke so sehr wie dieses. Nach fast fünf Jahren habe ich die Melodie sofort wieder im Ohr.


 

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